Zaunkönig: Kuscheln gegen die Kälte
Im Laufe der Evolution haben Tier- und Pflanzenarten oft fantastische Anpassungen an ihren Lebensraum entwickelt. Um den mitteleuropäischen Winter zu überstehen, ziehen viele Vogelarten zigtausend Kilometer weit nach Süden, andere ändern ihre Nahrungsgewohnheiten. Was aber tun, wenn man als fast kleinster einheimischer Vogel nicht nach Afrika wandert und zudem noch auf Insekten als Nahrung angewiesen ist?
Zaunkönige haben es derzeit wirklich nicht leicht: Nach den beiden Goldhähnchenarten ist der nur neun Zentimeter „große“ Winzling unser kleinster Vogel. Seine Flügel sind kurz und rund, perfekt angepasst zum wendigen Manövrieren im dichten Unterholz oder in Hecken, für eine lange Afrikareise aber völlig ungeeignet. Und zu allem Überfluss benötigen Zaunkönige auch im Winter Insekten als Nahrung – Äpfel oder Beeren, von denen z.B. Amseln derzeit leben, oder die Sämereien und Körner der Finken und Meisen hinterlassen bei Zaunkönigen höchstens einen verdorbenen Magen.
Dennoch zählt der Zaunkönig zu unseren häufigen Vögeln. Wie schafft er das? Die Antwort auf die Nahrungsfrage ist einfach, wenn auch für Lebewesen von Menschengröße schwer zu glauben: Indem er sorgfältig und geduldig täglich stundenlang kleinste Rindenritzen, Herbstblättern, verrottetes Pflanzenmaterial oder Wurzeln absucht, findet der Minivogel genügend überwinternde Insekten, um gut „über die Runden“ zu kommen. Dennoch reicht die Insektennahrung nur für wenige Vögel auf größerer Fläche, so dass Zaunkönige ihre Reviere energisch gegen Artgenossen verteidigen. Kältere Winterphasen wie zuletzt mit zweistelligen Minusgraden und geschlossener Schneedecke führen aber doch zu Nahrungsknappheit.
Dann greifen die kleinen Vögel aus ihrer Sicht zum äußersten Mittel: sie kuscheln! Um in Frostnächten möglichst wenig Energie zu verbrauchen, übernachten sie mit bis zu zehn Artgenossen in kleinen Hohlräumen, oft in den eigenen Nestern aus dem Sommer. Was sich für uns gemütlich anhört, ist für die Winzlinge Stress pur: Den ganzen Tag halten sie andere Zaunkönige mit großem Eifer auf Abstand, um die wenigen Insekten nicht teilen zu müssen, jetzt ist plötzlich Körperkontakt gefragt. Bis zum gemeinsamen Übernachten vergehen daher aufregende Minuten, in denen sich die Tiere im „Tagesmodus“ zuerst noch wild jagen und vertreiben, bis sie dann allmählich friedlicher werden und sich mit der letzten Dämmerung am Ende doch überwinden, gemeinsam mit den Nahrungskonkurrenten die Nacht zu verbringen.