Kategorie-Archiv: 2013 – kein Vogeljahr

Wetterkapriolen 2013

Evolution „live“: Langer Nachwinter bringt klare Vorteile für Zugvögel

Die überwiegend recht milden Winter der letzten Jahrzehnte, gepaart mit Trockenheit in den afrikanischen Winterquartieren, haben über viele Jahre unsere Standvögel gegenüber den Langstrecken-Zugvögeln begünstigt. Nun hat der harte Nachwinter die Karten im Spiel der Evolution neu gemischt.

Unsere Vögel lassen sich im Hinblick auf ihre Überwinterungsstrategie in drei Gruppen einteilen: Die bei uns ausharrenden Standvögel, Kurz- und Mittelstreckenzieher mit Winterquartier bis in den Mittelmeerraum und die in Afrika meist südlich der Sahara überwinternden Langstreckenzieher. Vor- und Nachteile der jeweiligen Strategie liegen auf der Hand – in milden Wintern „gewinnen“ die Standvögel, da sie kaum Verluste ertragen müssen. Im Vergleich dazu „lohnt“ sich die Afrikawanderung mit Verlusten auf der viele tausend Kilometer umfassenden Reise vor allem in kalten Wintern, wenn viele der Daheimgebliebenen verhungern oder erfrieren.

Nur selten lassen sich die Folgen der unterschiedlichen Strategien so gut beobachten wie in diesem Frühjahr. Die sonst überall häufigen Kohl- und vor allem Blaumeisen, Kleiber oder Zaunkönige sind auffallend selten, das morgendliche Vogelkonzert ist vielerorts sehr still. Auch die schon im März zurückkehrenden Mittelstreckenzieher wie Bachstelze, Zilpzalp oder Hausrotschwanz sind deutlich seltener als in den letzten Jahren. Sie alle haben durch den fünfwöchigen, langen Nachwinter bis Anfang April große Verluste erlitten.

Anders die Langstreckenzieher: Zwar hatten sie die üblichen Ausfälle während ihrer gefährlichen Reise, waren von den Nachwinterfolgen jedoch nicht betroffen. In manchen Gebieten in Hessen sind daher derzeit zum Beispiel mehr der eigentlich seltenen Trauerschnäpper zu sehen und zu hören als die sonst allgegenwärtigen Blaumeisen. Wer gezielt darauf achtet, wird diese Unterschiede im Vergleich zu den vergangenen Jahren in den Wäldern und oft sogar auch im eigenen Garten bemerken können. Aufgrund der veränderten Konkurrenzsituation können nun auch die Langstreckenzieher die günstigsten Brutplätze besetzen, die sonst oft vor ihrer Rückkehr schon von den Standvögeln besetzt wurden, und mehr Jungvögel als sonst aufziehen. Dieser Vorteil der Zugvögel wird sich damit auch für die nächsten Jahre festigen – Evolution live!

2013 – kein Vogeljahr

Vom Regen in die Traufe…

Vor einem Monat haben wir an dieser Stelle über die Verluste berichtet, die der lange Nachwinter unter unseren Brutvögeln ausgelöst hat. Doch die Durststrecke ist für viele Arten noch nicht zu Ende: Durch die kalten und verregneten letzten Wochen konnten viele Vogeleltern nicht genug Nahrung sammeln, so dass in vielen Nestern die Jungvögel verhungern.

Wer im Garten oder Park darauf achtet, hat das sicher schon feststellen können. Statt der Ende Mai üblichen vielen Jungvögel, die Rasenflächen, Gebüsche und Bäume bevölkern, sind nur vereinzelt junge Amseln oder Stare zu sehen. Die Ursache dafür ist eindeutig: Durch die anhaltend kalte Witterung entwickeln sich weniger der als Nahrung dienenden Insekten als sonst, im Regen verbergen sich die Nahrungsorganismen zudem besonders gut. Außerdem brauchen Alt- und Jungvögel aufgrund der niedrigen Temperaturen jetzt mehr Nahrung, um ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Der erhöhte Bedarf lässt sich selbst bei maximaler Aktivität vieler Vogeleltern oft nicht decken, so dass zuerst die jüngsten Nestgeschwister verhungern. Bei anhaltend niedrigen Temperaturen und Dauerregen sind aber oft auch die anderen Jungvögel betroffen, so dass derzeit häufig ganze Bruten umkommen.

Und nicht nur Kleinvögel wie Meisen, Amseln oder Finken sind von diesen Verlusten betroffen. Auch die Bruten von Großvögeln wie Weißstorch oder Rotmilan haben oft mit der verregneten Witterung zu kämpfen. So sind in fast der Hälfte der südhessischen Storchennester schon verhungerte oder unterkühlte Jungvögel gefunden worden, in manchen Nestern regt sich gar kein Leben mehr.

Jungsegler Manfred Juni 2013 3,5,7 Tage

Mauerseglerküken 3,5 und 7 Tage jung. Ein Altsegler saß tot auf dem Gelege. Da der Nistplatz in einer beobachteten Kolonie war, konnten sie geborgen werden. Foto: Andrea Krüger-Wiegand

Auch wenn sich in den Nestern nach menschlicher Sichtweise derzeit Dramen abspielen: Grundsätzlich sind unsere Vogelarten an solche Verluste angepasst und keine Art allein durch die Witterung bedroht. Selbst doppeltes Pech wie die Folgen langer Winter und einer verregneten Brutzeit können die meisten Arten durch ihre große Vermehrungsrate in günstigen Zeiten prinzipiell schnell wieder ausgleichen. So kann ein zweimal brütendes Blaumeisenpaar in nur einem Sommer bis zu 25 Jungvögel großziehen, die die freigewordenen Reviere schnell auffüllen. Amselpaare mit drei Bruten „schaffen“ immerhin noch bis zu 15 Junge.

Allerdings gilt das heutzutage nur noch eingeschränkt. Zu sehr haben wir Menschen die Lebensräume der Vogelarten verändert: Statt artenreicher Mischwälder Nadelholz-Monokulturen geschaffen, anstelle von bunten Wiesen Ackerflächen angelegt und die Obstwiesen in unseren Gärten durch Zierrasen ersetzt. Da fällt es den Vogeleltern oft schon in günstigen Jahren schwer, erfolgreich Junge aufzuziehen. Doch eine gute Nachricht gibt es: Helfen kann jeder, der im Garten mehr Natur zulässt und so die Überlebenschancen „seiner“ Vögel auch während ungünstiger Witterung fördert.